Besser alt werden mit der vhs
Ein Gastbeitrag von Christina Berndt, Wissenschaftsjournalistin mit dem Schwerpunkt Medizin, Psychologie und Lebenswissenschaften
15.08.2025
Wenn man durch das Kursprogramm der vhs stöbert, taucht man ein in einen Kosmos der Möglichkeiten: Französisch-Konversation, Japanische Küche, Qi Gong. Manch eine*r kann sich da vor lauter verführerischen Angeboten gar nicht entscheiden. Andere fragen sich vielleicht, ob das überhaupt noch etwas für sie ist – wo doch das Lernen mit zunehmendem Alter immer schwerer fällt. Doch wenn man sich einmal unter Hirnforscher*innen, Alternsforscher*innen, Ärzt*innen oder Sportwissenschaftler*innen umhört, dann ist die Antwort eindeutig: Auch im höchsten Lebensalter kann man noch jede Menge lernen. Und man sollte sogar.
Gehirn: Leistungshöhepunkt mit 25?
Zugegeben: Betrachtet man den menschlichen Geist rein biologisch, dann muss man einräumen, dass das Gehirn schon im zarten Alter von 25 Jahren den Höhepunkt seiner Leistungskraft erreicht. Von da an beginnen Nervenzellen abzusterben und die Zahl der Synapsen, also der Kontakte zwischen ihnen, nimmt ab.
„Am Anfang passiert das noch recht langsam, die meisten Menschen merken nichts davon“, sagt der Neurowissenschaftler Martin Korte, der an der Universität Braunschweig über das Lernen forscht. Die entstehenden Schwächen fallen nicht so auf, weil man die schwindende Hirnleistung zum großen Teil mit Lebenserfahrung wettmachen kann. „Doch spätestens mit 50 Jahren sagen die meisten Menschen zum ersten Mal: Oh, mein Gedächtnis“, so Korte.
Ein wenig beruhigend ist, dass das nicht nur an der nachlassenden Leistung des Gehirns liegt, sondern auch an seiner bereits erbrachten Leistung: Man hat mit 50 Jahren einfach schon wahnsinnig viel gelernt. „Man hat unglaublich viele Gesichter, Fakten und Namen im Kopf, ein Zwanzigjähriger kommt vielleicht auf ein Zehntel davon“, sagt Korte. Je größer ein Datenspeicher aber sei, desto schwieriger werde es nun einmal, gezielt auf Informationen zuzugreifen.
Neues lernen geht ein Leben lang
Aber was bedeutet das, wenn einen mit 50 der Ehrgeiz packt? Geht da dann überhaupt noch was? „Auf jeden Fall“, sagt Ursula Staudinger. Die Alternsforscherin von der TU Dresden ist Expertin für lebenslanges Lernen. „Man kann lernen, solange man lebt“, betont sie – sofern keine Krankheitsprozesse dabei stören. Das demotivierende Sprichwort vom Hans, der nimmermehr lernt, was Hänschen nicht auf die Reihe gekriegt hat, kann man demnach getrost vergessen.
Allerdings räumt Staudinger ein: Das Lernen wird mit der Zeit durchaus mühsamer. Am Anfang des Lebens ist das Gehirn noch wie ein trockener Schwamm, der alles aufsaugt. Wenn er vollgesogen ist, wird Energie benötigt, um noch Neues hineinzubekommen. Zudem wehrt sich das Gehirn, weil es für neu Erlerntes alte Inhalte aussortieren muss. Deshalb müssen Erwachsene mehr Geduld und Anstrengung aufwenden, wenn sie etwas lernen wollen. „Ältere Menschen interpretieren das oft so, dass es nicht mehr geht“, sagt Staudinger. „Aber es geht.“
Ob Salsa, Suaheli oder Saxofon – es gibt nichts, was ältere Menschen nicht lernen können
Dabei kommt es nicht einmal darauf an, was man lernen will. Menschen können nach der Lebensmitte noch ayurvedischen Schleiertanz einüben, eine mehr als fremde Fremdsprache lernen, in die Tiefen des Kosmos eintauchen oder das Schifferklavier vom Speicher in Schwingung versetzen. „Ich wüsste nichts, was ältere Menschen nicht mehr lernen können“, sagt Martin Korte. Allerdings hat jeder Bereich seine eigenen Herausforderungen.
Da ist zunächst einmal der Geist. Grundsätzlich gilt: Er ist formbar, bis zuletzt. Das Sprachvermögen wird im Laufe des Lebens sogar besser, so Korte, die sprachliche Präzision nimmt zu. Klare Grenzen gibt es nur, soweit man weiß, beim akzentfreien Erlernen von Sprachen. Auch in Sachen Gehirnakrobatik – und damit etwa beim Verstehen von höherer Mathematik – gibt es manche Grenzen.
Weniger Gehirnakrobatik, mehr sprachliche Präzision
So lässt das Kurzzeitgedächtnis im Laufe des Lebens nach. Deshalb werde es schwieriger, zwei Dinge gleichzeitig im Kopf zu haben, sagt Ursula Staudinger: „Etwas ausrechnen, sich das Ergebnis merken und es dann weiterverarbeiten, solche Dual-Task-Aufgaben fallen zunehmend schwer.“ Zudem nimmt die Konzentrationsfähigkeit ab. Auch das habe biologische Ursachen, so die Alternsforscherin: „Je älter man wird, desto schwerer fällt es, die Gedankenströme zu steuern.“
Dass es jungen Leuten gelingt, bei lauter Musik ihre Hausaufgaben zu machen, liegt also nicht nur daran, dass sie den Krach im Klassenzimmer gewohnt sind. Doch die Hürden für die Älteren lassen sich überwinden – indem sie ihre Lernstrategie anpassen. Wenn man sich als Erwachsene*r eine ruhige Umgebung sucht, Lernintervalle verkürzt und sich zwischendrin Notizen macht, sind Integralrechnung und Keplersche Gesetze kein grundsätzliches Problem.
Und wie ist es mit der Fitness? Auch die körperliche Performance befindet sich rein biologisch schon in jungen Jahren am Zenit. Danach beginnen Bänder und Gelenke zu verschleißen, die Dehnbarkeit lässt ebenso nach wie die Pumpkraft des Herzens. Doch mit der Leistung muss es keineswegs schon ab dem 30. Geburtstag bergab gehen, sagt der Sportmediziner Dieter Leyk, der an der Sporthochschule Köln die Forschungsgruppe Leistungsepidemiologie leitet. Es komme eben auf das Training an.
So ließen sich Kraft, Schnelligkeit, Koordination und Beweglichkeit im Alter sogar verbessern. Dass sich viele Menschen ab der Mitte des Lebens im Leistungstief fühlen, sei oftmals eine Folge des falschen Lebensstils. Würde man nicht so viel herumsitzen und mehr Sport treiben, bliebe man fit und könnte immer noch selbst so komplexe Sportarten wie Reiten oder Stabhochsprung lernen.
Alles eine Frage der Zeit
Auch die Welt der Musik steht Älteren noch offen. Dass die meisten Star-Pianist*innen schon als Sechsjährige Konzerte gaben, bedeute nicht, dass man das Klavierspielen nicht auch sehr viel später erfolgreich lernen kann, hat die niederländische Neurowissenschaftlerin Laura Wesseldijk vor einigen Jahren mithilfe von 310 Profimusiker*innen und 7.800 Zwillingen herausgefunden. Demnach waren Musizierende zwar besser auf ihrem Instrument, wenn sie schon vor ihrem achten Geburtstag damit angefangen hatten. Doch die Unterschiede ließen sich fast ausschließlich darauf zurückführen, dass sie wegen des frühen Beginns naturgemäß auch auf mehr Übungsstunden kamen.
Üben sei nun einmal das A und O, sagt Martin Korte. „Es ist wichtig, sich klarzumachen: Einmal pro Woche zum Unterricht zu gehen, ist nicht genug, gleichgültig, ob es um ein Musikinstrument oder eine neue Sprache geht.“ Junge Menschen investieren nun einmal mehr Zeit ins Lernen, deshalb wirkt es oft so, als falle ihnen das so viel leichter. Hinderlich kann es aber sein, dass Ältere oft mehr Angst haben, sich auf Neues einzulassen. „Kinder stehen immer wieder auf, wenn sie beim Laufenlernen hinfallen. Aber wenn man älter wird, wächst die Angst, sich zu blamieren“, so Korte. Er ist überzeugt: Ältere Menschen tun sich oft nur deshalb mit dem Lernen schwer, weil sie Angst davor haben – und deshalb gar nicht richtig anfangen.
Hürden abbauen lohnt sich
In jedem Fall lohnt es sich aber – und zwar enorm. Denn das Gehirn wächst mit seinen Aufgaben: Wenn man es nicht benutzt, lässt es unweigerlich nach, weil jeden Tag Nervenzellen zugrunde gehen. Aber mit jeder Aktivität schütten Nervenzellen Wachstumsfaktoren aus, die zum Entstehen neuer Nervenzellen und Nervenverbindungen beitragen. „Use it or lose it“, heißt es deshalb, benutze es oder verliere es. Und die US-Alzheimergesellschaft empfiehlt: „Be a life-long learner“, sei ein lebenslanger Lerner.
Auch die Aktivierung von Muskeln sendet übrigens Wachstumsfaktoren aus, die dem Gehirn helfen, sich zu erneuern. So können geistiges und körperliches Lernen zusammen das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, um den Faktor 3,5 senken und den Ausbruch einer Demenzerkrankung um durchschnittlich sieben Jahre nach hinten schieben.
Das Schöne dabei ist: Es ist vollkommen gleichgültig, wie gut man am Ende wird. „Alles, was das Gehirn auf Trab hält, ist gut – unabhängig davon, ob wir das subjektiv als Erfolg erleben“, sagt Ursula Staudinger. „Insgesamt gilt: Je anspruchsvoller eine Aufgabe ist, desto mehr beansprucht sie mein Gehirn und desto mehr wirkt sie Altersveränderungen entgegen.“ Anstrengung lohnt sich also – solange sie nicht in zu großen Stress ausartet. Der schadet nämlich dem Lernen.
Am leichtesten lernt man, worauf man Lust hat
Um zu großen Frust zu vermeiden, ist es sinnvoll, beim Lernen ab der Lebensmitte an Bekanntes anzuknüpfen. Eine weitere europäische Sprache lernt sich leichter als Hochchinesisch. Denn die Nervenzellen im Gehirn nutzen gerne ihre gewohnten Pfade. Neue Wege anzulegen, ist nun einmal anstrengender. Weil ältere Menschen ohnehin mehr Energie aufwenden müssen, um Neues in ihr volles Gehirn zu bekommen, sollten sie sich immer bewusst machen, dass sie mehr Motivation und Durchhaltevermögen brauchen, sagt Staudinger.
Umso mehr sollten sich Menschen ab der Lebensmitte auf die Dinge stürzen, auf die sie wirklich Lust haben, und nicht so darauf schielen, welche Aktivität in Studien die besten Ergebnisse erzielt. Schließlich lernt man leichter, wenn man Erfolg hat. Glückshormone wie Dopamin beflügeln das Lernen, sie helfen sogar beim Verknüpfen von Nervenzellen. Und wenn man Spaß hat, dann lernt man weiter – egal, ob Saxofon, Astronomie, Ballett oder irgendetwas anderes, das man im vhs-Programm findet.
Autorin: Christina Berndt
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Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr? Stimmt so nicht, sagt die Hirnforschung. (Bild: iStock / FG Trade)