Krise der Innenstadt – oder was kommt nach Döner, Barber und Frühlingsrolle?

Ein Gastbeitrag von Markus Neppl, Professor für Stadtquartiersplanung

29.08.2025

Seit der Jahrtausendwende haben die Themen Stadterweiterung, Konversion und Nachverdichtung den Städtebau in Deutschland dominiert. Der anhaltende Druck auf dem Immobilienmarkt, begünstigt durch staatliche Subventionen und die globale Zinspolitik, hat die städtebaulichen Projekte beschleunigt und zum Teil zu radikalen Veränderungen im Stadtbild geführt.

Neben diesen großen sichtbaren Projekten haben sich die Innenstädte Jahrzehnt für Jahrzehnt immer schneller verändert. Die Forderung der großen Handelsketten und Filialisten nach immer mehr Verkaufsfläche hat zu einer monofunktionalen Überformung vieler kleinmaßstäblicher Innenstädte geführt: Überall finden sich die gleichen Läden, die Innenstädte werden immer austauschbarer und verlieren an persönlichem Charme. Die Begleiterscheinung wie opulente Parkhäuser, unbeschränkte Anlieferungszeiten und unbegrenzte Lärmemissionen führen zu leblosen Zentren.

Gründe der Krise

Diese Erkenntnisse sind nicht neu und wurden schon oft beklagt. Die stadtplanerischen Instrumente blieben aber weitgehend wirkungslos und beschränkten sich im Wesentlichen auf die Aufwertung des öffentlichen Raumes und ein oberflächliches Kaschieren der strukturellen Missstände. Die Folgen der Corona-Pandemie und die allgemeine Verunsicherung der Immobilienbranche haben die Zustände sichtbar gemacht und offengelegt, was nicht mehr zu verheimlichen war.

Die Krise der Innenstädte manifestiert sich in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem durch den sichtbaren Leerstand von Ladenlokalen und Kaufhäusern. Die Probleme und die Gründe sind aber vielfältiger. Der Internethandel und die Auswirkungen der Pandemie werden oft genannt. Strukturell viel gravierender sind aber die exorbitanten Mietpreise, die durch eine systematische Überbewertung der Handelsimmobilien in den Portfolios der großen Anleger*innen und Besitzer*innen entstanden sind. Kurzfristige Lösungen sind nicht in Sicht, da die Mieten für kleine lokale Betriebe nicht mehr zu erwirtschaften sind. Selbst renommierte Standorte müssen sich neu erfinden und können unter diesen Bedingungen nicht mehr existieren.

Die Einzelhandelsstrateg*innen vieler Städte versuchten in den letzten Jahren, einen Mittelweg zwischen großflächigem Einzelhandel und kleinteiligen Ladenstrukturen zu finden, und hoffen jetzt, dass die Leerstände sich wieder einpendeln. Sie behelfen sich mit halbherzigen Zwischenlösungen. Allerdings lösen sich die großen Strukturen unaufhaltsam auf und die kleinen Einheiten lassen sich mit veralteten Konzepten nicht mehr wirtschaftlich betreiben.

Krise als Chance

Die allgegenwärtige Krise könnte aber dazu führen, dass sich die Idee einer Innenstadt nicht mehr vorwiegend über den Einzelhandel definiert. Wenn die Mieten sinken, ergeben sich auch Spielräume für andere Nutzungsmöglichkeiten. Nur wenn die Akteure der Innenstadt verstehen, dass sie konsequent zusammenarbeiten müssen, könnte sich die Situation verbessern. Die Innenstädte werden nur wieder attraktiv, wenn es einen Grund gibt, sie aufzusuchen und dort Zeit zu verbringen. Aber wer sind diese Akteure und welches Interesse haben sie, sich zu engagieren?

Die Stadt Bremen geht diese Frage offensiv an und hat 2022 das Projektbüro Innenstadt gegründet. Die relativ kleine städtische Gesellschaft fungiert als direkte Ansprechpartnerin und geht aktiv auf Institutionen aus Wirtschaft, Kultur, Bildung und Stadtgesellschaft zu und entwickelt unterschiedliche Formate für die Zusammenarbeit. Dabei versteht sich das Projektbüro aber nicht als Teil der Verwaltung, sondern als Schnittstelle, um Aktivitäten möglich zu machen und die oft zähe Kommunikation mit den städtischen Behörden zu beschleunigen. Die Mitarbeitenden geben Impulse, koordinieren, vermitteln und übernehmen – wenn nötig – sogar die Mediation.

Erfolge in Heilbronn und Karlsruhe

Die Innenstadtprojekte in Heilbronn und Karlsruhe gehen in eine ähnliche Richtung. Es hat sich in der Arbeit vor Ort gezeigt, dass sich viele Akteure und Institutionen in den letzten Jahrzehnten systematisch aus der Innenstadt zurückgezogen haben. Die Stadtverwaltungen wie zum Beispiel in Freiburg und Hamburg wurden konzentriert und verlagert, die Banken haben ihre Flächen stark reduziert und auch für Universitäten und andere Bildungs- und Kultureinrichtungen wurden Innenstadtstandorte durch die hohe Immobilienbewertung immer unattraktiver.

Die Institutionen erkennen langsam, dass sie mit diesem Rückzug viel von ihrer Identität aufgegeben haben, und beginnen umzudenken. Die Kreissparkasse Heilbronn betreibt zum Beispiel eine Ausstellungs- und Veranstaltungshalle neben den Geldautomaten, das KIT in Karlsruhe hat seinen Campus in ein leerstehendes Versicherungsgebäude erweitert und zur Belebung eines lange brachliegenden Platzes beigetragen und das Badische Staatstheater hat seine großzügigen Lobbyflächen zeitweise für die Öffentlichkeit freigegeben. Die Experimenta in Heilbronn kombiniert Planetarium, Theater, Wissenschaft zum Anfassen und einen Science Dome und ist zu einem überregionalen Anziehungspunkt in der Innenstadt geworden. In Karlsruhe wird die Innenstadt immer mehr als Ort für große populäre Events wie die Schlosslichtspiele und Konzerte entdeckt.

Gefragt: Strategie und gemeinsames Handeln

Gute Beispiele ersetzen aber keine Strategie. Nur wenn es gelingt, die Akteure und Institutionen wieder intensiver in die Innenstadtentwicklung einzubinden und auf ihre städtebauliche Verantwortung zu verpflichten, können Zukunftsperspektiven entstehen. Gerade die Bildungseinrichtungen haben in diesem Zusammenhang die Chance, sich neu zu erfinden. Die Schulen, Universitäten und auch Volkshochschulen haben ein enormes Potenzial, sich in der Innenstadt zu engagieren. Ihnen fehlen aber die Erfahrungen und auch die Mittel, um entsprechende Projekte umsetzen zu können.

Leerstehende Ladenlokale können niederschwellige Treff- und Anlaufpunkte sein und könnten mit wenig Aufwand aktiviert werden. Allerdings sind die bürokratischen Hürden nicht zu unterschätzen. Eine entsprechende Nutzungsänderung kann schon so komplex sein, dass alle Beteiligten nach kurzer Zeit entnervt aufgeben. Genau an dieser Stelle fehlen oft die Koordination und die kurzen Wege in die Politik und Verwaltung.

Es gibt keine Patentrezepte für unsere Innenstädte. Die Beispiele aber machen Mut. Wenn die Stadtgesellschaft versteht, dass nur ein gemeinsames Handeln und eine sorgfältige Strategie auf lange Sicht Erfolg versprechen, ist schon viel erreicht. Ein aufwendiger Aktionismus mit flüchtigen Ergebnissen kann kein nachhaltiger Beitrag sein.

Autor: Markus Neppl

Mehr Infos:

vhs info 2/2025

Die Innenstädte werden nur wieder attraktiv, wenn es einen Grund gibt, dort Zeit zu verbringen – eine Chance für die vhs, sich neu zu erfinden. (Bild: iStock)

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