Erinnerungen von Renate Krausnick-Horst, Verbandsdirektorin von 1956 bis 1996

Es ist gute 70 Jahre her, dass ich eine erste Begegnung mit Vertretern eines Volkshochschulverbandes hatte, im Volkshochschulheim Inzigkofen, dessen junge, sehr unerfahrene Sekretärin ich eben erst geworden war. Es waren Vertreter des südwürttembergischen Verbandes, der ebenso wie der nordwürttembergische 1946 gegründet worden war. Würdige ältere Herren waren es, die meisten über 50 (es darf nicht vergessen werden, dass die mittlere Generation im Krieg geblieben war), durchaus demokratiebegeistert und mit einem bestimmten Bildungsideal, um das lebhaft gestritten wurde. Die Führungsrolle hatte zunächst Theodor Bäuerle, aber nachdem ein Anschluss an die Weimarer Zeit der Volkshochschulen von den Jüngeren – bei allem Respekt – verworfen wurde, übernahmen vor allem Helmut Walter, Leiter der VHS Stuttgart und von Theodor Heuss zum Regierungsrat ernannt und Dr. Walter Koblitz, Leiter von Inzigkofen und mein Onkel, sowie Hans Wilhelm Zeller Leiter der VHS Reutlingen die Führung. Es gab schon eine große Zahl von Volkshochschulen, aber die wenigsten hatten eine hauptberufliche Leitung. Etwa 50% wurden von Frauen geleitet, schon damals ungewöhnlich. Im Übrigen waren unter den Ehrenamtlichen viele Oberstudiendirektoren oder Studienräte und Rektoren zu finden.

Nicht vergessen werden darf die Rolle der Amerikaner, die die Volkshochschulen mit Geld ausstatteten und in den beiden nördlichen Landesteilen viele Kreisvolkshochschulen gründeten. Die Franzosen im Süden hatten kaum Geld und sahen die Aufgabe der Volkshochschulen auch anders. Den Amerikanern war die Erziehung zur Demokratie oberstes Ziel. Was allerdings bei der Riege der Leiter wenig Zustimmung fand. Wer wollte damals etwas von Politik wissen?

Mit der Gründung des Südweststaats beschloss man dann in großem Einvernehmen den Zusammenschluss der beiden Verbände in Nord- und Südwürttemberg, es entstand der Verband württembergischer Volkshochschulen, sogar mit einer hautberuflichen Geschäftsführerin, Edith Boldt. Nordbaden und Südbaden konnten sich – die traditionelle Distanz zu den Württembergern war noch lange sehr lebendig – nicht zum Beitritt entschließen, aber Württemberg übernahm die Führungsrolle, auch durch ihren Vorsitzenden Prof. Dr. Walter Erbe, ein einflussreicher FDP-Politiker und später Vizepräsident des Landtags. Alle Verhandlungen auf Landesebene übernahm der württembergische Verband.

Lange noch spiegelte die Entwicklung der vier Landesteile auch im Volkshochschulbereich die Struktur des Landes, im Norden Wirtschaft und Industrie, große Volkshochschulen (z.B. Stuttgart, Heilbronn, Ulm, Mannheim), im Süden viele kleine, auch ländliche Einrichtungen, gleichberechtigt viele kirchliche Einrichtungen, was bis zum Beschluss des Weiterbildungsgesetzes zu manchen Auseinandersetzungen führte. Der württembergische Volkshochschulverband suchte seine Unterstützung vor allem bei den drei kommunalen Spitzenverbänden, eine gute Entscheidung bis heute.

Erbittert wurde in den 50er Jahren um Bildungsziele und Bildungsauftrag gerungen, um die Kursform contra Einzelvortrag, um Allgemeinbildung contra beruflicher Bildung und um vieles mehr. Nur ein Korrektiv war stets gegeben: das Programm musste angenommen, die Gebühren mussten eingenommen werden. Die politischen Parteien waren entweder ganz gegen politische Bildung an Volkshochschulen, oder sie hätten sie gern für die eigenen Zwecke eingesetzt und die ländliche Weiterbildung sollte nicht aufklärerisch tätig sein – auch diese Frage haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer entschieden.

1953 wurde am 17.6. in Berlin der Deutsche Volkshochschul-Verband gegründet, ich wurde seine erste und damals auch einzige Verwaltungskraft in Bonn, und schon 1956 fragte mich Frau Boldt, ob ich nicht den württembergischen Verband übernehmen wollte. Ich wollte, auch wenn das damals nur wenige einer 25jährigen zutrauten. Ich war allein, erst Jahre später kam eine Halbtagskraft hinzu. Es gab viel zu tun und viel aufzubauen. Ein Jahr später hatte ich ein kleines Auto und fuhr durchs Land, um alle „meine“ Volkshochschulen kennenzulernen.

Das Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Bildungswesen erschien und war ein großer Schritt für uns, denn in Tradition der Aufklärung räumte es den Volkshochschulen als der Einrichtung für alle, unabhängig von Interessen, eine führende Rolle ein. Und die Volkshochschulen wuchsen seit etwa 1960 sprunghaft, immer mehr hauptberufliche Leitungen entstanden und mussten durchgesetzt werden. Der württembergische Verband führte ein einjähriges Ausbildungsseminar durch, finanziert aus Landesmitteln, 10 Bewerberinnen und Bewerber wurden theoretisch und praktisch ausgebildet. Sie kamen aus allen möglichen Berufen, nicht alle sind geblieben, aber doch viele – und ich hatte die nicht leichte Aufgabe, Stellen für sie zu finden.

1966 rief mich Prof. Bernhard Merten, Vorsitzender des südbadischen Verbandes an und lud mich in sein Haus im südlichen Schwarzwald ein, um über einen Zusammenschluss und eine Satzung zu reden. Also fuhr ich an einem schönen Herbsttag in meinem nun schon VW mit Satzungsentwurf zu ihm und wir wurden uns bei einem Pflaumenkuchen einig. Allerdings gab es dann noch viel Hin und Her, denn Nordbaden war keineswegs begeistert, aber dank unseres Vorsitzenden, Professor Erbe und eben Professor Merten fand schließlich die Gründungsversammlung am 29.1.1967 im Restaurant Schönblick in Stuttgart statt. Leider starb Walter Erbe schon 1968, ich habe viel von ihm gelernt, insbesondere Verhandlungsführung. Er verfügte auch – dies am Rande –über einen großen klassischen Zitatenschatz, und keiner meiner Entwürfe verließ das Haus ohne eine solche Ergänzung.

Schon 1968 hatte der junge und noch keineswegs zusammen gewachsene Verband also seine erste Krise, aber der Vorstand, aus allen vier Landesteilen gebildet, einigte sich rasch auf einen jungen Pädagogen und Bildungspolitiker, Prof. Dr. Günther Dohmen, der viele Jahre Vorsitzender war und nun in hohem Alter gestorben ist. Er baute damals das Fernstudium auf und gründete das Deutsche Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen. Bei uns erwarteten ihn die Auseinandersetzungen um ein Gesetz, in dem wir natürlich die Volkshochschulen gern in einer Führungsrolle gesehen hätten, was aber nicht gelang. Die Entwicklung konnte es nicht aufhalten, unsere Zahlen entwickelten sich weiterhin sprunghaft. Der Verband bekam mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ab 1970 Fachreferenten und zog mehrfach um, immer in größere Räume, so kauften wir gemeinsam 1975 ein Haus in Stuttgart Haus, um auch dies 1992 wieder zu verlassen und die heutigen Räume zu kaufen.

Die Entwicklung der Volkshochschulen und damit des Landes ist eine Erfolgsgeschichte, bis heute! Dieser Erfolg war nicht leicht zu erreichen, es gab von vielen Seiten Widerstände, vor allem natürlich dort, wo wir tätig wurden, aber das Feld andere besetzt hatten, die gern auf uns verzichtet hätten und versuchten, dies auch politisch durchzusetzen. Immer wieder galt es, auf die Interessen der Teilnehmer zu verweisen und zum Verzicht auf Monopole aufzufordern. Wie oft mussten wir, musste ich die politische Bildung verteidigen! Nicht zuletzt diese Widerstände führten zur Idee der Ausbaupläne, ebenso die zahlreichen Anfragen der Kommunen nach Richtlinien, Normen und Aufgabenbeschreibungen. Es war eine große Aufgabe, diese Pläne (der Einfluss der gleichzeitigen Landesplanung und Reform darf hier nicht unerwähnt bleiben) zu formulieren, wobei ich Wert legte auf ein gemeinsames Werk des Vorstandes, so dass es lange Diskussionen gab, vor allem mit der jungen Gruppe aus der Studentenbewegung (z.B. Vorrang für das Kollektiv).

Auch der Verband bekam den Generationenwechsel zu spüren, eigentlich schon beim Wechsel von ehrenamtlich zu hauptberuflich, verstärkt durch die Studentenbewegung, aber er verlief moderat. Keine Tagung mehr mit festem Programm, höchstens mit Vorschlägen, Wandzeitungen und kleine Sit ins, Resolutionen und modische Diskussionsformen, alles dagewesen! Nun, das alles war nicht umsonst, sondern führte zum Nachdenken des Bestehenden und zur ständigen Weiterentwicklung, die für eine Volkshochschule unabdingbar ist.

Nicht nur die Ausbaupläne kamen, auch die große Entwicklung der Sprachkurse – wobei das Sprachlabor kam und auch bald wieder ging – zu einer Zusammenarbeit mit den Verlagen, die Systematisierung der beruflichen Weiterbildung, beides mit Zertifikaten, was den Vorvätern noch ein Dorn im Auge war, wir führten für das Land Eignungslehrgänge für künftige Grundschullehrer durch, später handelte ich mit dem Kultusministerium das Lehrerprogramm aus – und auch dies war nicht leicht durchzusetzen – die Volkshochschulen waren die ersten, die Kurse für „Gastarbeiter“ durchführten … kurzum, alle Zeittendenzen, alle Zeitprobleme spiegelten sich in der Arbeit des Verbandes und seiner Mitglieder und viel wäre noch zu erzählen!

Nach Dohmen übernahm Frieder Birzele den Vorsitz und wir gewannen mit ihm nicht nur den Innenminister, sondern einen, der mit dem Volkshochschulauftrag sehr verbunden war – und auch ihm haben wir viel zu verdanken. Der Verband entwickelte sich immer mehr zum Dienstleistungszentrum für Volkshochschulen und zur Interessenvertretung gegenüber Politik und Öffentlichkeit.

Wir bauten die Dozentenfortbildung auf, die verschiedene Formen des Erfahrungsaustauschs und die Planung, entwickelten feste Formen der Zusammenarbeit – Beispiel: Krankenkassen.

Wenn ich zurückdenke, was war besonders schwierig? Eigentlich nicht das Zusammenführen der Verbände, wohl aber die vielen Begegnungen mit ehrenamtlichen Leitern, denen ich klarmachen musste, dass ihre Volkshochschule nun eine hauptberufliche Leitung brauchte, das war oft traurig. Und nicht gerade geliebt von mir die ständige Rolle des Bittstellers im Landtag und bei Parteien und Ministerien. Ebenso der ständige Versuch, in der Öffentlichkeit klar zu machen, dass die Volkshochschule nicht nur für die „unteren Schichten“ da war, bezahlbar für jedermann und offen für alle.

Ein wichtiges Ereignis darf nicht unerwähnt bleiben: 1965/66 die Reise nach Israel! Mit mehr als 60 Teilnehmern in zwei Bussen, jeder Mann hatte seinen Entnazifizierungsbescheid einreichen müssen, nicht alle durften mitfahren. Zu unserer Überraschung und Freude wurden wir freundlich empfangen in einem Land, das damals noch stark von deutschen Emigranten geprägt war. Erschüttert standen wir in Yad Vashem, aber wir staunten auch über den großen Aufbauwillen und die eindrucksvollen Spuren des Alten Testaments. Freundschaften wurden geschlossen und haben viele Jahre überstanden.

1965 gelang es auch, den Volkshochschulverband in die kommunale Zusatzversorgungkasse zu bringen, eine zusätzliche Altersversorgung auch für die vielen eingetragenen Vereine, die damals in der Mehrheit waren.

In den 70er Jahren übernahm der Volkshochschulverband den Vorsatz im Landeskuratorium für Weiterbildung, kein einfaches Amt für mich. In der Folge wurden viele Projekte gemeinsam veranstaltet, so zwei gemeinsame Auftritte auf der didacta (viel Arbeit!), ein Europa-Kongress im Landtag mit Ralf Dahrendorf, ein weiterer über berufliche Weiterbildung mit dem Bundespräsidenten Carstens, später wirkten wir mit in den Planungsgremien von Späth und im Wirtschaftsministerium – die Weiterbildung war gefragt! Ebenso gefragt war unser Management-Seminar! Heute sind die Volkshochschulen selbstverständlich geworden, sie zu entwickeln und durchzusetzen war eine nicht leichte, aber wunderbare Aufgabe! Dies alles wäre nicht möglich gewesen ohne die Vielen, die daran mitgewirkt haben: die Leiterinnen und Leiter der Volkshochschulen, das Heer der Dozentinnen und Dozenten, im Verband unser tolles Team von Fachreferentinnen und Fachreferenten, unsere Verwaltungskräfte – und der sachverständige Vorstand – sie alle machten ihre Tätigkeit für die Volkshochschulen zur Lebensaufgabe – danken.

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