PRESSEMITTEILUNG

Offenburg, 08.07.2022

Demokratie verantwortlich gestalten – Freiheit gemeinsam leben: Volkshochschulverband Baden-Württemberg feiert 75-jähriges Jubiläum in Offenburg

Mit rund 150 geladenen Gästen feierte der Volkshochschulverband Baden-Württemberg am heutigen Freitag in Offenburg sein 75-jähriges Jubiläum. Die Jubiläumstagung war dem Thema „Demokratie verantwortlich gestalten – Freiheit gemeinsam leben“ gewidmet und beleuchtete den Beitrag, den die Volkshochschulen beim Aufbau der Demokratie in den Nachkriegsjahren geleistet haben und den sie bis heute für das demokratische gesellschaftliche Zusammenleben überall vor Ort leisten. Begrüßt wurden die Gäste von Kultusministerin Schopper, den Festvortrag hielt die Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing, Prof. Dr. Ursula Münch. Der Volkshochschulverband nutzte die Gelegenheit, seine Forderung zur Umsetzung der bereits vereinbarten Erhöhung der Landesförderung für die allgemeine Weiterbildung um ca. 2 Mio. EUR pro Jahr bis 2026 zu bekräftigen und begründete dies mit wachsenden Aufgaben bei den aktuellen gesellschaftlichen Transformationsprozessen und mit steigenden Kosten.

In seiner Eröffnungsrede erklärte der zum vierten Mal gewählte Vorsitzende des Volkshochschulverbandes Fritz Kuhn OBM a.D., dass die Gründung von etwa 50 Volkshochschulen und die damit einhergehende Gründung der ersten Verbandsstrukturen der Ausdruck eines Aufbruchs und Neuanfangs nach dem zweiten Weltkrieg waren. Die Absicht sei es gewesen, die neu gewonnene Demokratie mit aufzubauen und die zurück erhaltene Freiheit mit neuem Leben zu füllen. Heute, 75 Jahre später, sei dies immer noch der zentrale Auftrag, dem die Volkshochschulen verpflichtet seien. „Mit ihren Weiterbildungsbildungsangeboten zu aktuellen gesellschaftlichen Themen von Digitalisierung über Integration und kultureller Vielfalt bis hin zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit setzen sich die Volkshochschulen auch heute und in Zukunft für ein gelingendes demokratisches Zusammenleben in Staat und Gesellschaft ein“, betonte der Vorsitzende Fritz Kuhn und ergänzte: „Dafür benötigen sie eine höhere finanzielle Förderung durch das Land, wie sie in der Vereinbarung „GEMEINSAM.FÜR.WEITERBILDUNG“ bereits festgehalten wurde.“

Weiter vertieft wurde das Thema der Jahrestagung durch den Jubiläumsvortrag „Wider die Demokratiemüdigkeit: Zur Bedeutung politischer Bildung in Zeiten des Vertrauensverlusts“ von der Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing, Prof. Dr. Ursula Münch. In ihrem Vortrag legte Münch dar, welchen Beitrag die Demokratiebildung zur Gestaltung unserer Zukunft leisten kann und muss und erklärte es mit den Worten: „In Zeiten der Krise ist die Absicherung der Menschen durch Sozialpolitik, durch den Rechtsstaat und eine zukunftsbeständige Bildung unverzichtbar. Damit wir als demokratische und pluralistische Gesellschaft einigermaßen solidarisch dem Wandel durch die Großen Transformationen kommen und den Folgen der Pandemie und des Krieges gewachsen sein werden, muss Weiteres hinzukommen: politische Urteilskraft. Sie hilft im Umgang mit den gezielten Fehlinformationen und den einfachen Botschaften.“

Die Verleihung der Auszeichnung „vhs.innovativ“ markierte einen der Programmhöhepunkte der Jubiläumsveranstaltung. „Mit seiner Initiative hat der Volkshochschulverband exemplarisch in den Themenfeldern Digitalisierung, Integration und Inklusion sowie Klimaschutz und Nachhaltigkeit sichtbar gemacht, wie Volkshochschulen Bildungsangebote machen, die der breiten Bevölkerung die Möglichkeit geben, sich über aktuelle Themen zu informieren, eigene Einstellungen dazu zu entwickeln und sich auf dieser Basis verantwortungsbewusst zu verhalten“, erklärt der Direktor des Volkshochschulverbandes Dr. Tobias Diemer. Drei besonders eindrucksvolle Beispiele, eines pro Themenfeld, haben den Preis der innovativen Volkshochschule erhalten:

  • Das Kooperationsprojekt der vhs Schopfheim, vhs Oberes Wiesental und vhs Wehr im Themenfeld „Bildung für nachhaltige Entwicklung“,
  • die vhs Villingen-Schwenningen im Themenfeld „Agile und analogitale vhs“ und
  • die vhs Stuttgart im Themenfeld „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“.

Zum Volkshochschulverband Baden-Württemberg gehören 162 Volkshochschulen mit knapp 650 Außenstellen. Die Einrichtungen vor Ort bieten ein flächendeckendes Netz an vielfältigen Angeboten zur Allgemeinbildung, einschließlich der Bildung für nachhaltige Entwicklung, zur Gesundheitsbildung, in den Sprachen, zum Thema Integration und zur beruflichen Qualifizierung sowie in der Alphabetisierung und Grundbildung. Informationen über die Arbeitsschwerpunkte der Volkshochschulen finden Sie auf der Homepage des Volkshochschulverbandes Baden-Württemberg:
www.vhs-bw.de.

Kontakt: Athanasia Tsantou-Kiesow, Pressestelle, Volkshochschulverband Baden-Württemberg e.V. Raiffeisenstraße 14, 70771 Leinfelden-Echterdingen, Telefon: (07 11) 7 59 00 -68,
E-Mail: tsantou@vhs-bw.de

Erklärung des Volkshochschulverbandes Baden-Württemberg anlässlich seiner Jubiläumstagung am 8. Juli 2022 in Offenburg

Demokratie verantwortlich gestalten – Freiheit gemeinsam leben

Der Krieg Russlands in der Ukraine und die daraus entstehende politische und wirtschaftliche Unsicherheit sowie die Corona-Pandemie und ihre Folgen setzen unsere Gesellschaft aktuell weiter unter Druck. Meinungsunterschiede werden stärker, die Gesellschaft droht immer wieder sich zu spalten, Populist*innen und scheinbar einfache Lösungen erhalten hohe Zustimmung. Nicht nur in den sozialen Medien bilden sich Filterblasen und parallele Öffentlichkeiten, in denen anderslautende Meinungen kein Gehör mehr finden. Demokratie, Frieden und Freiheit waren lange Zeit selbstverständlich und wurden nicht mehr reflektiert – und nun fehlen uns in einer Zeit, in der Demokratie und Freiheit herausgefordert werden, überzeugende Antworten. Fast ein Viertel der Bundesbürger*innen hegt Zweifel an der Demokratie in Deutschland.

Demokratie muss von jeder Generation neu gelernt, ausgehandelt und gestaltet werden. Demokratie setzt den*die selbstbestimmt handelnde*n mündige*n Bürger*in voraus. Deshalb ist eine zentrale Antwort auf die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen Bildung: Eine Bildung, die Begegnungen ermöglicht, zum Nachdenken und zur Selbstreflexion anregt und die demokratische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Positionen, Argumenten und Interessen fördert. Demokratiemüdigkeit geht häufig einher mit Gefühlen der Resignation darüber, dass bestimmte, für wichtig erachtete Interessen zu wenig wahrgenommen und zu wenig artikuliert werden. Bildung ist hier gefordert, sie kann politische Diskussionsräume öffnen, in denen Menschen ihre Interessen und Positionen auf demokratische Weise artikulieren und über unterschiedliche Alternativen und Positionen miteinander diskutieren können.

Demokratie und Freiheit sind einerseits untrennbar miteinander verbunden und stehen andererseits im Widerstreit: Demokratie ist die Voraussetzung für Freiheit und grenzt diese zugleich ein. Denn die durch Demokratie ermöglichte Freiheit geht nie nur den*die einzelne*n an, sondern hat immer auch Auswirkungen auf die Gesellschaft. Wie wir in Zukunft leben wollen, ist keine individuelle oder private Entscheidung: Unser politisches Handeln und unser Lebensstil wirken sich direkt auf unser Umfeld und die Welt aus – sei es etwa beim CO2-Ausstoß, bei der Aufrüstung oder beim Verhalten in der Pandemie. Daher sind gesellschaftliche und politische Diskussionen und Aushandlungen wesentlich für die Verwirklichung von Demokratie und Freiheit.

Grundlage für demokratische Aushandlungsprozesse muss eine ganzheitliche Bildung sein, die geistige, emotionale sowie inter- bzw. transkulturelle Kompetenzen umfasst. Eine zukunftsfähige Erwachsenenbildung vermittelt – aufbauend auf einer soliden Grundbildung – also etwa die Fähigkeit zur Orientierung in der Informationsflut. Sie leistet dies sowohl mit kognitiven Strategien als auch durch die Handhabung moderner Technik, sie vermittelt Kommunikationsfähigkeit, auch über geografische und kulturelle Grenzen hinweg, sie schafft das Bewusstsein für politische, geschichtliche und kulturelle Zusammenhänge, sie entwickelt die Fähigkeit zu kritischer Distanznahme und sie schärft die Urteilskraft. Eine derartige Allgemeinbildung gehört zu den Kernaufgaben der Weiterbildung an den Volkshochschulen.

Mit dem Auftrag „Bildung für Alle“ steht die Volkshochschule als parteipolitisch neutraler Ort der Bildung und Begegnung für Offenheit und Vielfalt. Die Volkshochschule bietet Begegnungs- und Bildungsräume für den gesellschaftlichen Diskurs – aber immer nur im Rahmen der demokratischen Grundordnung und der Aufklärung. Antidemokratischen, extremistischen und populistischen Äußerungen jenseits des Grundgesetzes bietet sie keinen Raum.

Die Vermittlung von zukunftsfähiger Allgemeinbildung, die Befähigung zum Diskurs und das Einüben des Diskurses sind somit notwendige und zentrale Beiträge, damit Demokratie verantwortlich gestaltet und Freiheit gemeinsam gelebt werden kann. In einer durch Vielfalt und Diversität bestimmten Gesellschaft integriert der Diskurs, weil er Gewalt verhindert und dem Ausgleich der Interessen wie der Verständigung eine Chance gibt. Indem Volkshochschulen Räume für Diskussion und Auseinandersetzung bieten und Menschen zum Diskurs befähigen, stärken sie unmittelbar eine demokratische Kultur, die zu den Voraussetzungen für das Funktionieren unserer rechtstaatlichen Demokratie gehört und die Grundlage für einen gelingenden gesellschaftlichen Zusammenhalt bildet.

Demokratiebildung erfüllt eine öffentliche Aufgabe, die für die Akzeptanz, Stabilität und Zukunft des politisch-gesellschaftlichen Systems von grundlegender Bedeutung ist. Sie trägt dazu bei, dass unsere Verfassung und ihre demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen mit Leben gefüllt werden. Demokratiebildung darf nicht als „Feuerwehr“ bei akuter Gefährdung der Demokratie verstanden werden, sondern sie muss fester Bestandteil der politischen Kultur sein und benötigt dauerhafte sowie verlässliche Rahmenbedingungen.

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